Verein Schweizer Phantastikautoren

Game-Entwicklung aus Autorensicht


Titelbild SGA
Aus dem „Pee at Night“ Intro (https://johaplume.itch.io/pee-at-night)

Beitrag von Niko Herwegh

Gruss an alle LeserInnen,

seit einiger Zeit schon beschäftige ich mich mit Storytelling in Games. Aufmerksam auf diese Symbiose zwischen Autoren und Gamesindustrie wurde ich durch den sehr informativen MOOC (Massiv Open Online Course) »The Future of Storytelling«. In dieser Videoreihe wird Geschichten erzählen von einer sehr akademischen Seite betrachten. Beginnend bei den Ursprüngen in grauer Vorzeit, den mündlichen Überlieferungen, bis hin zu heutigen Medienarten wie YouTube-Serien und Games.

Für mich warf der MOOC damals eine ganz praktische Frage auf: Wie genau kann ich als Autor bei der Entwicklung eines Computerspiels mitarbeiten? Inwieweit würde sich diese Arbeit vom Schreiben eines Romans unterscheiden?

Ein eigenes Spiel entwickeln

Nachdem ich einige Onlineartikel gelesen hatte, über Drehbuchautoren bei großen Spieleschmieden und der Arbeit eines Gamedesigners, der gemeinhin als Erschaffer eines Spiels gilt, wollte ich auch die Praxis besser kennenlernen.

Darum habe ich mich zur Swiss Game Academy 2019 in Freiburg (CH) angemeldet. Die SGA war, trotz des Namens, keine reine Bildungsveranstaltung. Das Hauptziel bestand nicht darin, dass jeder Teilnehmer so viel lernt wie möglich, sondern dass er mit seiner Gruppe ein Computerspiel entwickelt. In sechs Tagen.

Davor hatte ich keine Ahnung davon, welche Möglichkeiten man zur Spielentwicklung hat und meine fünf Gruppenmitglieder auch nicht, und doch haben wir ein nettes kleines Spiel erschaffen. In »Pee at Night« geht es um ein kleines Mädchen, das nachts auf Toilette muss. Auf ihrem Weg durch die dunkle Wohnung wird sie von Monstern erschreckt und kann diese wegschreien.

Einen vollständigen Erlebnisbericht habe ich in der Blog-Sektion meiner Website veröffentlicht.

Ein Spiel in so kurzer Zeit zu erschaffen, funktioniert nur wenn man sich beschränkt und die Arbeit allein auf die Kernmechanik des Spiels reduziert. Auf vielleicht ein einziges Level, mit minimaler Grafik aber doch spielbar. Es wird nur ein Prototyp erstellt.

In der Industrie, gleichgültig ob Computerspiele oder auch Brettspiele ist die Erstellung und Erweiterung eines Prototypen die Standardvorgehensweise.

Aus welchen Elementen besteht ein Spiel?

Nach der Game Academy wollte ich etwas mehr über den Beruf des Game Designers erfahren und fand in meiner Bibliothek zum Glück das fundamentale Werk, »Die Kunst des Game Design«  vom Spielentwickler Jesse Schell. Es ist das Standardwerk schlechthin.

Schell nennt vier Grundelemente eines Spiels, die alle miteinander verknüpft sind.

  • Die Mechanik
  • Die Ästhetik
  • Die Technologie
  • Die Story
Das Elemente-Tetraeda
Tetraeda mit Bestandteilen der Elemente

Ja, wir sehen, die Story ist ein wichtiger Bestandteil. Für uns als Autoren gibt es also durchaus Hoffnung auch ein wichtiger Teil der Spieleindustrie zu sein.

Die Story im Fokus

In vier Abschnitten des sechshundert Seiten starken Werks, wird die Story als Hauptthema behandelt. Immer mit dem obersten Ziel, das Spielerlebnis für den Spieler zu verbessern. Schell weist besonders darauf hin, dass in jedem Spiel eines dieser Elemente besondere Beachtung erfährt und die anderen drei es dann stützen.

Ein Computerspiel-Genre, bei dem die Story im Vordergrund steht, sind Point&Click-Adventures. Genre bedeutet hier nicht die bekannten Elemente einer Geschichte, sondern die Elemente der Spielmechanik, also des Gameplay. In einem Point&Click-Adventure zum Beispiel ist es eher zweitrangig, ob es sich um ein Science-Fiction Setting handelt oder um eine Fantasy Geschichte. Hier kommt es darauf an, ein Abenteuer zu erleben, in dem man mit Nichtspielercharakteren spricht, Gegenstände aufnimmt, miteinander kombiniert und Rätsel löst.

Die Adventures „The Dig“ und „Runaway: A Road Adventure“
Hintergund aus dem Adventure „Satinavs Ketten“
Hintergund aus dem Adventure „Satinavs Ketten“

Die Spielmechanik (Objekte aufnehmen und kombinieren), die Technologie (Eingabemöglichkeiten und grafische Darstellung) und die Ästhetik (Hintergründe und animierte Charaktere) dienen dazu die Story zu erleben.

Der Autor, der eine Geschichte für ein Adventure schreibt, meist im Auftrag des Studios bzw. des Chefentwicklers, bräuchte kein fertiges Roman-Manuskript abzugeben. Eine Art Drehbuch, mit einer klaren Handlung, den Charakteren und den Handlungsorten würde reichen. Die genauen Vorlagen für die anderen Mitarbeiter erarbeitet man anschließend gemeinsam.

Um die anderen Spiel-Elemente herauszufordern und das Spielerlebnis für den Spieler zu verbessern, sollte der Autor besonders skurrile Charaktere entwerfen (die dann der Artist zeichnen darf), atemberaubende Handlungsorte wählen (die auch der Artist zeichnet) und spannende Dialoge schreiben.

Tatsächlich wurden frühere Point&Click-Adventures mit der Anzahl der gezeichneten Hintergründe und dem Umfang der Dialoge beworben.

Für eine solche Zusammenarbeit zwischen Autoren und Spielindustrie gibt es bereits einige Beispiele. Etwa wurde das Adventure Gabriel-Knight von der Autorin Jane Jensen erdacht, die auch später noch an vielen Computerspielen beteiligt war. Auch wurden die Scheibenwelt-Romane von Terry Prattchet als Adventure umgesetzt.

Geschichte und Spielmechanik: Rollenspiele

Rollenspiele sind ein offensichtliches Beispiel wie Geschichte und Spielmechanik aufeinander aufbauen. Denn als Autor muss man in diesen Spielen stark die Möglichkeiten der Spieler beachten, wenn man geeignete Konflikte in seiner Story aufbauen will. Anders als in einem Roman, oder einem Adventure wählt nicht der Autor, sondern der Spieler den Hauptcharakter, dies ist also die Variable für den Autor. Wer hat schon von einem Roman gehört, in dem der Protagonist nachträglich gewählt wurde?

In Rollenspielen wie »The Witcher« oder »Devinity Original Sins« bilden Story und Quests eine Einheit. Als Autor muss man sich also Konflikte ausdenken die mehrere Lösungsmöglichkeiten bieten, damit jede Art von Charakter einen Lösungsweg findet. Ohne Zusammenarbeit mit dem Game Designer wird es kaum gehen.

Wer einmal ein Pen&Paper-Rollenspiel gespielt hat, weiß, dass ein Zauberer mit dem geeigneten Zaubertrick keinen bewaffneten Troll fürchten muss, während die Heilerin einen Kampf gar nicht erst versuchen braucht.

Trotz der vielen Beispiele an guter Zusammenarbeit zwischen Autoren und der Spielindustrie, gibt es einen Wermutstropfen denn den Beruf des Game-Autors gibt es nicht. Die wenigsten Spielstudios entwickeln alleine Spiele mit hohem Story-Anteil, sodass ein Studio alleine kaum genug Arbeit hat um einen Vollzeitautoren zu engagieren. Auch ist das Storytelling, im Gegensatz zum Programmieren und Zeichnen meist nur ein sehr kleiner Bestandteil des Entwicklungsprozesses.

Die Jobs für Autoren heißen dann auch anders: Der Game Writer oder auch Narrative Designer erledigt alle erzählenden Aufgaben. Er schreibt und überarbeiten zwar auch das Drehbuch (wenn es eines gibt), er erledigt aber auch die einfachste Schreibarbeit, er entwirft Dialogbäume, Intros und Anleitungen. Wie sehr die einzelnen Aufgaben wirklich voneinander getrennt werden ist eher von der Größe des Spieleherstellers abhängig und auch ob das Studio einen angestellten Narrativ Designer hat oder ob Aufgaben alleine an Freelancer vergeben werden.

Abschluss

Und nun zu Spielen von dem man auf anhieb eher wenig Storytelling erwartet: Computerspiele wie Fifa, Fortnite oder Minecraft. Diese Spiele haben sehr wohl ein hohes Geschichtenpotenzial, darum nennt Jesse Schell sie auch Geschichtenautomaten, jedoch wird die Geschichte hier nicht von einem Autor erschaffen, sondern vom Spieler selbst. Jeder Sieg, jedes Vorankommen, eigentlich jede Spielsitzung ist ein eigenes Abenteuer, das der Spieler später jemandem erzählen kann.

 Als Autoren können wir diese Geschichten nicht schreiben, aber wir können sie uns anhören und erfahren, worauf es den Spielern ankommt und was sie begeistert.

Gruß, Niko.